SVM15: Amazon Special

Die Kanderarena, der neue Standort des Swiss Volvo Meetings zwischen Spiez und Frutigen bot den Teilnehmern und Besuchern bei hochsommerlichem Wetter einen faszinierenden Querschnitt aus 80 Jahren automobiler Innovation aus Schweden. Im Mittelpunkt stand das Modell „Amazon“, das seit 60 Jahren Kult ist.

Volvo Amazon – eine Form, die Massstäbe setzte
In der festlich herausgeputzten Kanderarena, in der sonst Kühe und Kälber ihre Besitzer wechseln, glänzten für einmal Trouvaillen auf vier Rädern um die Wette. Neben dem brandneuen XC 90 stand der älteste Volvo in der Schweiz, ein 1931er LV 65 Lastwagen mit seitengesteuertem Sechszylinder und kunstvoll gebauter Holzpritsche. Ein paar Schritte weiter ein ebenfalls bestens erhaltener P833 Pick-up von 1953 – ein sehr seltener Typ, der in Schweden selber praktisch „ausgestorben“ ist. Vis-à-vis schliesslich ein Vertreter der 60er Jahre, eine sich im Restaurationsprozess befindliche Ponton-Karosserie. Sie zeigte quasi das Skelett der klaren Hauptattraktion, den acht speziellen Volvos vom Typ „Amazon“, wie die Baureihe 120 /130 auch genannt wurde.


Star der Swinging Sixties

Alter Schwede! Mit dem Amazon etablierte sich Volvo weltweit als bedeutender Autoherstellter. Als erstes Modell wurde er in 70 Länder exportiert und sogar in neuen Werken in Kanada, Belgien und Südafrika montiert. Zwischen 1956 und 1970 wurden nicht weniger als 667.323 Wagen des neuen Typs produziert. Paradoxerweise verlief der Start des späteren Erfolgsmodells mehr als harzig : Designer Jan Wilsgaard bekam zu seinem Erstlingswerk von den Chefs zu hören, das Auto sehe aus wie ein Pin-Up Girl und sei zu hübsch! Direktor Gabrielson gab ihm gar einen „Verbesserungsvorschlag“ auf den Weg, um den Entwurf hässlicher zu machen. Zum Glück hörte der junge Designer nicht auf ihn. Das Publikum gab ihm recht.

Die zeitlose Eleganz dieser schwedischen Schönheiten erinnert heute an eine Epoche des Aufbruchs in die Moderne. In den Swinging Sixties sah die Zukunft noch rosig aus. Schwarzenbewegung, Mondlandung, Woodstock: Alte Zöpfe wurden nicht nur in den USA abgeschnitten, auch in Skandinavien und in der Schweiz forderten die Jungen peace & love. Frauen wurden als Kundengruppe und Mitentscheider beim Autokauf entdeckt, und die Sicherheit musste nicht mehr auf Kosten des guten Aussehens gehen. Die Modelle PV 544 („Duett“ Kombi) und P121 Amazon erhielten bereits ab 1959 als erste Automobile weltweit serienmässig Dreipunkt-Sicherheitsgurten auf den Vordersitzen, später Kopfstützen und Scheibenbremsen. Vora allem aber das elegante Design überzeugt bis heute.

Den Organisatoren des Swiss Volvo Meetings gelang es auch bei den Amazonen, das älteste in der Schweiz erhaltene Exemplar zu präsentieren. Mit der Chassisnummer 42 gehört die schwarz-weisse Stufenhecklimousine P1200 zur Vorserie. Der Viertürer in exzellentem Originalzustand wurde 1956 von Garagenbesitzer Fritz Häusermann in die Schweiz importiert und steht damit seit fast 60 Jahren im Fahrzeugpark des ehemaligen Schweizer Generalimporteurs.

Anhand der weiteren Amazon-Exponate konnten die Besucher die Entwicklung und Spezialausführungen spielend nachverfolgen: Zwei Volvo 121 und ein 221 Kombi, alle Ende der 60er Jahre gebaut, sorgten mit rund 90 PS schon für ein flottes Vorwärtskommen. Der tiefergelegte, rote 121 in Racing-Ausführung hingegen fand später zu einer zweiten Jugend: mit modernem Überrollkäfig, Gewichtsoptimierung, Spoiler-Heck und radikalem Motor-Tuning hat der frisierte Opa nun über 200 Pferde unter der Haube. Ein sehr schöner 122S von 1963 mit Originallack und seltenem Webasto-Faltdach sowie zwei 123 GT mit Overdrive, breiten „Kronprinz“-Felgen und Simons-Sportauspuff rundeten die Ausstellung ab.

Zeitloses Design, direktes Feedback
Bei der Ausfahrt am Samstag, die von der Kanderarena zum Restaurant und Aussichtspunkt „Bütschelegg“ ob Riggisberg führte, konnten die Amazon-Jubilare zeigen, was in Ihnen steckt und bis heute ihre Faszination ausmacht: Der Spass an zeitlosem Design und praktischer, schön gestalteter Funktionalität. Alle verarbeiteten Teile wirken zierlich und trotzdem solide. Sie sind auf Langlebigkeit ausgelegt und noch denkbar einfach konstruiert. Die Klimaanlage zum Beispiel besteht aus dreieckigen Drehfenstern in der Tür, die bei Bedarf Fahrtwind ins Innere lenken – aber auch Regen.

Die Heizung ist den schwedischen Wintern entsprechend leistungsstark. Wenn es, wie an diesem Wochenende, bei über 30 Grad bergauf geht, kann sie auch zur Kühlung des Motors eingesetzt werden. Das Antriebsaggregat eines Amazon ist noch um einiges lauter als heutige Motoren und meldet vielschichtige Signale zurück, die richtig interpretiert werden wollen. Die Bedienung ist streng mechanisch, das Fahrzeug dafür noch unmittelbar spürbar – nicht wie modernes, fast schon entrücktes Fahren.

Andreas Haug aus Trondheim legte die 2500 Kilometer ans SVM im einer Woche entspannter Fahrt in seinem weissen Amazon mit dem Kennzeichen D-704609 zurück. Damit holte sich der Norweger zusammen mit seine Partnerin den Preis für den am weitesten angereisten Teilnehmer.

Neben der guten Rundumsicht und den wertigen Instrumente erfreuen das Auge in einem Amazon viele Details, die mit Hingabe und zeitloser Eleganz geschaffen wurden. Und zwar vom Bug bis zum Heck, vom aufgeräumten „Maschinenraum“ bis zum Kofferraumdeckel. Auf der an der oberen Kante platzierten Nummernbeleuchtung prangt ein dreidimensionales Volvo Logo – die untere Hälfte des Rings ist der geschickt integrierte Griff zum Öffnen. Und innen drin steht das Reserverad hochkant an der Seite. Bei einer Panne brauchte man nicht, wie heute zumeist, das ganze Gepäck auszuladen. Dazu noch ein Beutel mit Wagenheber, Radmutterschlüssel und Pannendreieck. Mehr brauchte es nicht in einer Zeit, als der gegenseitige Respekt noch eine der wichtigsten Komponenten der Sicherheitsausrüstung war.